Wenn die Frage bleibt: Warum?

Wenn die Frage bleibt: Warum?

„Na wenn Sonja jetzt hier arbeitet, kann sie auch die Beratungsgespräche machen.“

Und ehe ich wusste, was genau damit gemeint war, saß ich meinem ersten Beratungskunden gegenüber. Die Worte meiner Vorgängerin noch im Ohr:

 „Ach, das schaffst du schon, mir hat das auch nie jemand erklärt“, fühlte ich mich gleichzeitig verloren und herausgefordert. Vielleicht war es gut, dass mir niemand genau vorgab, was ich zu tun hatte. Denn schon im ersten Gespräch wurde mir klar: Zuhören ist das Wichtigste.

Mir gegenüber saß ein Herr, äußerlich ruhig, innerlich voller Schmerz. Er begann zu erzählen, warum er nun einen Pflegegrad hatte. Er war eigentlich gesund gewesen. Doch nach einer falsch gesetzten PDA saß er nun im Rollstuhl. Wie gefesselt, unfrei fast komplett bewegungseingeschränkt. Mit großer Anstrengung konnte er seine Arme stockig heben. Nur langsam und unkontrolliert. Und das nur, weil Ärzte einen Fehler gemacht hatten. Ich hörte zu und spürte, wie mich sein Schicksal tief bewegte.

Viele Jahre vergingen. Wir lernten uns kennen, vertrauten einander, führten immer wieder Beratungsgespräche, mit kleinen und großen Themen.

Und dann eines Tages, sah er mich ruhig an und fragte: „Warum hat Gott das nicht verhindert?“ Er erklärte mir, dass er immer geglaubt hatte. Dass er betete aber er sei so enttäuscht. Nicht nur von Gott auch von Geistlichen, die ihn einfach fallen ließen. Er hatte so sehr gehofft, dass ihm jemand diese eine Frage beantworten könne, doch stattdessen nahmen sie Abstand von ihm. Und nun, nun kann er einfach nicht mehr glauben. Wenn Gott doch alles kann warum hat er das dann zugelassen?

Ich saß da, sonst selten um eine Antwort verlegen, und spürte: Ich habe auch keine. Was soll ich sagen? Wie kann ich ihm etwas Gutes, etwas Aufbauendes sagen? Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.

Und es fühlte sich schlecht an, so ehrlich dastehen zu müssen. Was sagt man einem Mann, der warmherzig, klug und einfach ehrlich ist, der immer voller Tatendrang war und nun wie gefesselt leben muss?

Ich sagte ihm: „Ich kann Ihnen nicht erklären, warum es so gekommen ist. Aber ich weiß, dass Gott immer an Ihrer Seite war. Niemals hat er Sie verlassen. Seine Hand ist ausgestreckt. Und weiter sage ich, dass Gott ihn kennt, sieht und dass er wahr ist und dass er ihn so liebt.“

Er lächelte traurig und sagte nur: „Das ist eine schwere Frage, ich weiß.“

Ich verabschiedete mich und ging. Und die Frage blieb. 

Noch lange dachte ich darüber nach. Warum? Warum lässt Gott Leid zu? Und ich erkannte: Auch ich habe meine unbeantworteten „WarumˋS“ im Herzen.

Aber an diesem Tag traf ich eine Entscheidung. Ich will nicht mehr am Warum hängen bleiben. Ich will Ja sagen, zu einem Gott, der größer ist als mein Verstand. Ich will ihm bedingungslos vertrauen auch wenn ich nicht alles verstehe.

Der Vers aus Psalm 34,6 macht mir Mut.

Wer zu dem Herrn aufschaut, 

Der strahlt vor Freude 

Und sein Vertrauen wird nicht enttäuscht.

 

Und so bete ich weiter für meinen Patienten, dass Gott ihm begegnet und das er ihn tröstet. Und das dort, wo keine Antwort ist, sein Frieden Raum gewinnt.

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